B. Jaspert: Kirchengeschichte als Wissenschaft

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Titel
Kirchengeschichte als Wissenschaft.


Autor(en)
Jaspert, Bernd
Erschienen
Münster 2013: Aschendorff Verlag
Anzahl Seiten
210 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Yvonne Walter, Universität Fribourg

47 Kirchenhistorikerinnen aus den deutschsprachigen Ländern wurden für das vorliegende Sammelwerk und seine wissenschaftstheoretische und -praktische Themenstellung anfänglich angeschrieben, elf Kirchenhistoriker und eine Kirchenhistorikerin haben dann zugesagt, für den Band Kirchengeschichte als Wissenschaft einen Beitrag beizusteuern. Diese Notiz Jasperts im Vorwort deutet an, wie schwierig es sein kann, einer bestimmten Fragestellung mit einem einfachen und klaren Raster nachzugehen. Das Resultat, das auf dem Hintergrund eines abnehmenden Interesses am Fach der Kirchengeschichte (7) dargelegt wird, möchte, ökumenisch breit aufgestellt und epochenübergreifend, eine Orientierung über das Fach der Kirchengeschichte an den deutschsprachigen Universitäten liefern. Ob der Band das Interesse an der Kirchengeschichte zu heben vermag, darüber sind die Rezensenten geteilter Meinung.

Hervorzuheben ist der Wille, den Autorinnen ein Schema anzubieten, nach dem dann vorgegangen werden sollte. Nach einem ersten eher persönlichbiografischen Zugang zur Kirchengeschichte als Fach und Broterwerb, folgen Schilderungen zu den Aufgaben der Disziplin, wie sie von den Fachvertreterinnen je ausgemacht werden, gefolgt von den Zukunftsperspektive. Die letzten beiden Gliederungsebenen verschwimmen vielfach. In ihnen werden die Forschungsschwerpunkte der Autorinnen und Autoren deutlich.

So skizziert Rainer Berndt etwa die Rezeption der Bibel als ein Paradigma der Kirchengeschichte, denn die «Bibel mit ihren Rezeptionen bildet das Rückgrat der Kirche» (23). Thomas Böhm, der in Bezug auf die Konziliengeschichte den wesentlichen Faktor der Rezeption (35) betont, stellt vor allem das kritische Potential der Kirchengeschichte heraus, und sieht darin auch seine theologische Bedeutung (41). Mit Daniel Buda kommt erstmals eine ostkirchliche Perspektive in den Band, ein Beitrag, der den Blick zu weiten versucht. Das geschieht nicht nur geografisch, sondern über die mit MacCulloch und seinem Opus A History of Christianity. The first three thousand years (London 2010) jüngst wieder aufgegriffenen Frage, wann denn die Kirchengeschichte eigentlich begonnen habe? Buda plädiert für eine ökumenische Kirchengeschichte, was auch kaum mehr umstritten sein sollte, weil, wie es Klaus Fitschen festhält, Kirchengeschichte heute nicht mehr damit befasst sein kann, «irgendeine konfessionelle Tradition zu legitimieren, Institutionen und Ämter historisch zu rechtfertigen [und] theo¬logische Auffassungen zu qualifizieren.» (78)

Mariano Delgado verweist des Weiteren auf einen spannenden Aspekt, wann denn von einer Fehlentwicklung in der Kirchengeschichte gesprochen werden könne? (61) Damit deutet er an, dass das Normative niemals ganz weggeschoben werden kann. Mit diesem Zugang skizziert ebenfalls Hacik Rafi Gazer die türkische Kirchengeschichte nach 1453 und macht darauf aufmerksam, dass in diesem Bereich faktisch nur «gefilterte und zensierte Archivrecherche» möglich ist (93). Martin J. Jung wendet sich in seinem Beitrag kritisch der Geschichte der Taufpraxis zu und gegen eine postmoderne Hermeneutik, die die Position des Interpreten überbewertet, und stellt klar fest: «Interpretationen können nicht beliebig sein.» (103) Volker Leppin zeigt die Kirchengeschichte als Grenzdisziplin mit ihrer «Brückenfunktion zwischen der Theologie und anderen Disziplinen» (113). Daran schliesst Christoph Markschies ebenfalls erfahrungsbezogen an, wenn dieser konstatiert, dass ihn weder eine Enttheologisierung noch eine binnentheologische Verortung des Faches der Kirchengeschichte im Laufe der Jahre hätte überzeugen können. (134) René Roux schlägt da bei der Integration seiner Lebensstationen im akademischen Kontext einen etwas anderen Weg ein, der auch seiner Herkunft aus dem Aostatal und seiner wissenschaftlich Laufbahn an mehreren Orten geschuldet ist. Bei ihm finden sich konkrete anregende Zugänge (148), sowie klare Postulate, wenn es etwa darum geht, nun endlich im Kontext der Kirchengeschichte jeglichen Draht zur Apologie zu kappen, der sie die letzten Jahrhunderte geprägt hat (157). Freilich hätte man gerne gewusst, welche die «längst erledigten Kämpfe in der Kirche» sind, die in Gefahr stehen, neu ausgefochten zu werden? (158) Der Beitrag ist insgesamt sehr anregend und erfrischend, wenn es heisst: «Die gegenwärtige Lage der katholischen Kirche nach dem Verlust von Machtpositionen in den Ländern Europas und angesichts einer zunehmend multikulturell und multireligiös werdenden Gesellschaft lässt die jüngste Vergangenheit der Kirche beinahe fremder erscheinen als die Lebensumstände der Christen in den ersten Jahrhunderten.» (160) Auch WolfFriedrich Schäufele legt einen interessanten, lebendigen Artikel vor. Er hinterfragt das oft zur Schau gestellte «historische Richteramt» (175) und zeigt humorvolle Ansätze, wenn er von «divinatorischer Begabung» spricht, deren es bedürfte, die Zukunftsperspektiven auszumachen (176). Er beschreibt seine Position als Kirchengeschichtsprofessor als «privilegiert» (181). Freilich können auch Privilegien eine Last sein. Dass die Kirchengeschichte keine Hilfswissenschaft sein möchte, wie es im Text auch heisst, ist schon ein allgemeiner Topos geworden, der auch bei Schäufele durchblitzt. Es könnte gefragt werden, was denn so schlecht an der Dimension der Hilfe sein sollte? Der Autor spricht ja auch selbst von einem «vierfachen Dienst» (166) der Kirchengeschichte. Aber natürlich ist das Gemeinte nachvollziehbar und zu verstehen. Die einzige Frau im Band Gury SchneiderLudorff schliesst mit ihrem kurzen Beitrag den Band ab. Wenn sie von der Wichtigkeit einer selbstbewussten protestantischen Identität spricht, die sich nicht abschottet, wird etwas ausgesagt, das sich im ganzen Band wie ein roter Faden findet: Die Kirchengeschichte gleicht einem Netzwerk an unterschiedlichen Zugängen. Sie kann nicht containerartig befüllt und abgerufen werden. Durch die Verzweigung der spezifischen Zugänge und Erfahrungen entsteht ein Netzwerk, dass ein Mehrwert für die Theologie, als auch für die Geisteswissenschaften bedeutet. Dieser Aspekt ist das wichtige Fazit des Buches. Gerade wegen des vom Herausgeber vorgegebenen Rasters hätten sich die einzelnen Autoren jedoch stärker daran orientieren können. Dies ist bei weitem nicht immer geglückt. Somit entsteht ein zu weites Feld, in dem die bibliographischen Ereignisse wie der persönliche Erfolg, über den Aspekt der eigenen Erfahrungen in und mit der Kirchengeschichte gestellt werden. Dadurch verliert das Buch an Glaubwürdigkeit und der Leser stellt sich immer noch wie Frage, wie er mit seinem persönlichen Zugang der Kirchengeschichte umgehen soll. Für Leser, die sich mit dem Fach der Kirchengeschichte auseinandergesetzt haben, gibt es sicherlich einen spannenden Überblick über weitere Zugänge und Anregungen für Forschungsschwerpunkte. Für Studenten und «Laien» ist jedoch von diesem Werk abzuraten, da es ein Grundverständnis für beide Disziplinen voraussetzt, die erst beim zweiten Betrachten die Deutlichkeit und Notwendigkeit der Verknüpfungen aufzeigen. Dementsprechend wurde das Buch im Proseminar unterschiedlich bewertet. Eine weiterführende Frage könnte lauten: Wieso studiert man eigentlich Kirchengeschichte?

Zitierweise:
Yvonne Walter: Rezension zu: Bernd Jaspert, Kirchengeschichte als Wissenschaft, Münster, Aschendorff, 2013. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Religions und Kulturgeschichte, Vol. 108, 2014, S. 570-572.

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